Mein persönliches "Return to Life"
Von Allie Greene (Übersetzung Reiner Grootenhuis), erstmals erschienen bei PilatesIntel.
Vorbemerkung von Reiner Grootenhuis: Als ich heute diesen Artikel von Allie Greene in meinem Email-Postfach fand, hat er mich bewegt. So vieles sprach mir aus dem Herzen. Vielen Dank an Brett Miller den Betreiber von PilatesIntel und Allie Greene, diesen Artikel aus dem Englischen übersetzen zu dürfen und hier zu posten.
"Return to Life"/ „Ins Leben zurückkehren“ - als Pilates-Lehrer helfen wir Menschen genau das zu tun. Ein Mensch kann eine ernsthafte Krankheit oder postoperative Einschränkungen haben und Pilates kann eine bedeutende Rolle bei seiner Genesung spielen. Es kann aber auch etwas so einfaches sein, wie sich auf die Matte zu legen und endlich den ersten echten Atemzug des Tages zu genießen. Joseph Pilates sagte, unsere Gesellschaft würde einen Weg beschreiten mit weniger Bewegung, mehr Stress und mehr Industrialisierung (was mehr Umweltverschmutzung bedeutet). Ich frage mich was seine Reaktion wäre, wenn er die Welt heute sehen könnte. Wäre es ein "Ja, ich habe es euch ja gesagt"? Oder wäre er verblüfft, wie weit wir die Sachen getrieben haben? Unsere furchtbare Liebesaffäre mit industriell verarbeitetem Essen, Fettleibigkeit bei Kindern und dem Wunsch alles zu automatisieren. So viele Leute fahren, um zu sitzen, um dann wieder zu fahren, um zu sitzen, und noch einmal zu fahren, um wieder zu sitzen.
Sie fühlen sich schuldig weil sie nichts tun, außer es wurde ihnen verschrieben oder es ist als fester Termin in ihrem Kalender verankert.
So viele Menschen sind von ihrem Körper soweit getrennt, dass es mich an ein Auto erinnert, das man in die Werkstatt bringt. "Entschuldigen Sie, Herr KFZ Meister. Mein Auto ist kaputt. Ich weiß nichts über Autos. Können Sie es reparieren?"
Wir sind keine Autos. Wir haben Seelen, für mich entspricht die Seele der Lebensenergie. Unserer Umwelt wirkt eher negativ auf unsere Lebenskraft. Ständiger Lärm und alles in Bewegung, die meist hektische Geschwindigkeit unseres Tages und die Stimme in manchen von uns, die auf uns einredet, dass wir noch mehr machen sollten und übrigens es auch noch besser machen sollten. Training hat viele dieser Charakteristiken übernommen: Es sollte schneller gemacht werden, schwerer, höher und in vielen Fällen ohne besondere Achtsamkeit.
Pilates ist das genaue Gegenteil. Es ist das Bewegungs-Vitamin. Es bringt Balance in unsere Körper-Systeme. Es lässt uns in unser Leben zurückkehren. Unser wahres Leben. Unser wahres Selbst. Nicht jeder möchte ständig Pilates machen, obwohl manche es sollten. Ich bin schon glücklich, wenn jemand einmal die Woche kommt. Das Schöne an Pilates ist, dass es selbst dann funktioniert, wenn man nicht die Eleganz dessen versteht was man tut. Aber ehrlicherweise, die meisten verstehen es mit der Zeit. Meistens in der Form von "ich weiß nicht was es ist, aber immer wenn ich Pilates gemacht habe, fühle ich mich danach besser, fühle ich mich danach größer." Sie kehren zu ihrem Leben zurück. Ihre Lebenskraft wurde einmal aufgetankt.
Viele Jahre habe ich mich mit Angstzuständen abgekämpft. Vor zwei Jahren lief es dann auf einen hässlichen Höhepunkt zu. Ich unterrichtete und reiste viel, kümmerte mich um mein Studio, und begann mit vielen körperlichen Problemen zu kämpfen, die von den Angstzuständen und Panikattacken herkamen. Es fühlte sich so an, als wäre mein Körper gekidnappt worden und ich wäre die Geisel auf einer verrückten Fahrt zu einem unbekannten Ziel. Der eine Lebensretter, an den ich mich klammerte, war Pilates. Selbst in meinen schlimmsten Momenten brachte mich Bewegung wieder ein wenig zu mir selbst und versicherte mir, dass ich immer noch da war. Ja, das war meine Wirbelsäule, die dort artikulierte Ja, ich kenne den Rhythmus der Übung Single Leg Stretch. Nach einem Tag Reisestress konnte ich nicht darauf warten endlich in mein Hotelzimmer zu kommen, um mich auf ein Handtuch auf dem Boden zu legen und zu meinem Körper zurück zu kehren, selbst wenn es nur ein paar Stunden dauerte.
Das Ende der Geschichte ist, dass ich sagte, „genug“, nachdem eine Urlaubsreise mit meinem Ehemann nach St. Maarten fast ruiniert worden wäre, weil es mir schwer fiel, irgendwie durch den Tag zu kommen. Und das im Urlaub! Ich hielt durch mit der Hilfe von Rumpunsch und Pilates. Ich kam nach Hause, machte ungefähr sechs Monate Gesprächstherapie mit einem wunderbaren Therapeuten und begann ein Medikament gegen die Angstzustände zu nehmen. Und ich unterrichtete mich selbst über das Nervensystem. Ich begann zu meditieren, machte viel fokussierte Atemarbeit und langsam begann ich wieder mich selbst zu fühlen. Ich wünschte ich hätte das früher getan. Zwei Jahre später bin ich fast angstfrei, ich bin zu meinem Leben zurückkehrt. Ich hab mich wieder mit meiner Lebenskraft verbunden. Jetzt möchte ich gerne denen helfen, die leiden. Ich glaube es ändert sich langsam, aber unsere Gesellschaft hat einen sehr negativen Blick auf Angstzustände, Depressionen und psychische Krankheiten im generellen. Zu viele Menschen leiden schweigsam, weil sie Scham davor empfinden zuzugeben, dass sie Hilfe brauchen.
Sie haben Angst davor, dass sie dadurch anders wahrgenommen werden. Es ist ein chemisches Ungleichgewicht im Kopf. Es ist nicht anders als andere Probleme im Körper. Ich bin die selbe Person vor und nachdem ich die Geschichte erzählt habe. Ich erzähle sie, weil es das wert ist, wenn ich jemand anderen davon abhalten kann, so zu leiden, wie ich gelitten habe.
Als ein Pilates Lehrer, und damit jemand der die Körper-Geist-Seele-Verbindung versteht, ist meine erste Frage an jeden Klienten: „Wie geht es dir heute?“. Die Antwort kreiert die Stunde, die wir zusammen machen. Selbst wenn die Person sagt „großartig“ und in Wirklichkeit stimmt das nicht, dann zeigt mir ihr Körper das. Sie bewegen sich zu schnell oder ohne Fluss. Sie können nicht ihre Zentrierung halten oder werden schneller frustriert. Ich bin kein Psychologe, aber ich kann eine „Körpertherapie“ anbieten. Ich halte mich an das Prinzip „ändere den Körper, ändere den Kopf“. Ich habe es zu meiner Aufgabe gemacht, für jede Person zu erreichen, dass sie, wenn sie aus dem Studio geht, sich etwas besser fühlt. Pilates ist eine Praxis und damit kann Pilates uns Geduld, Selbstwahrnehmung und Disziplin lehren. Pilates offeriert uns eine Gelegenheit eine positive Beziehung mit unserem Körper einzugehen, völlig egal was gerade ansonsten passiert. Es ist eine bewegungsbasierte Meditation und durch unsere Praxis geht die kleine Stimme in unserem Kopf schlafen, während wir uns auf den Atem konzentrieren und versuchen einen Bewegungsfluss herzustellen.
Mein Studio ist eine Gemeinschaft von Menschen, die sich gegenseitig wertschätzen und sich gegenseitig anfeuern. Jeder ist willkommen. Es ist eine Umgebung von Güte und Leidenschaft für Bewegung. Es ist ein Platz für eine Pause für Menschen mit schwierigen Situationen wie zum Beispiel einem kranken Familienmitglied zu Hause oder einem sehr stressigen Job. Es ist ein Platz für Heilung und Hoffnungen für diejenigen, die den Kampf gegen Krankheiten wie Krebs, Borreliose und MS führen.
Da ist immer ein Lächeln und ein Lachen, aber auch Platz, um zu weinen und sich durch die Anliegen durchzukämpfen, wenn das ist, was gebraucht wird. Und es gibt viele Momente von Glück etwas geschafft zu haben, wenn man beispielsweise eine herausfordernde Übung gut hinbekommt oder einem ein Licht aufgeht, was Körper-Geist-Verbindung angeht. Es ist ein Platz, um seine Stärke zu finden, außen wie innen. Ich fühle mich jedes Mal glücklich und dankbar, wenn jemand durch unsere Tür tritt, um zum Leben zurückzukehren.